Was braucht man eigentlich, wenn man eine Heckflosse 230 S (W 111) Limousine hat?
Text und Bilder: Martin Warlich
Sicherlich das ein oder andere Ersatzteil sowie eine Literatur wie das Heckflossenbuch der MBIG aus dem Clubshop. Redakteur ist Hermann Ries mit seinen Mitstreitern. Im Übrigen hat er auch in den 1990er Jahren an dem Buch aus dem Motorbuch Verlag als Redakteur maßgeblich miterarbeitet.
Jetzt aber zu meiner Heckflosse. Im Juli 2021 war im Ahrtal die große Flutkatastrophe. Nachdem meine Autos dieser Katastrophe zum Opfer gefallen sind, habe ich mich entschlossen, etwas Neues zu finden, und das sollte eine große Heckflosse sein. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und bin bei ebay Kleinanzeigen fündig geworden. Zwei Besichtigungstermine habe ich dazu mit meinem Freund Siegfried vereinbart. Der erste Termin war eine Flosse, die man wirklich nicht haben möchte. Das Chrom war matt und unansehnlich und der gesamte Eindruck dieser Flosse war nicht zufriedenstellend. Der zweite Termin, das war ein Ehepaar aus Norddeutschland, war schon angenehmer. Auf deren Einfahrt stand eine große Heckflosse, 230 S, arabergrau, gepflegt, bis in die letzte Ecke geputzt, das sollte meine neue Heckflosse sein. Was das ausmacht, wenn ein gepflegtes Fahrzeug so einen Auftritt hat. Nachdem ich das nette, ältere Ehepaar kennengelernt habe, haben wir die Flosse auf die Bühne zur Besichtigung gefahren. Nachdem wir die technischen Mängel dem noch stolzen Besitzer gezeigt haben und einen Preis diesem Zustand anpassen konnten, waren wir uns einig. Mein Freund Siegfried war noch etwas kritisch, unter anderem deshalb, weil am hinteren rechten Kotflügel im Radlauf Lackblasen zu sehen waren. Uns war bewusst: Da, wo etwas Rost ist, ist viel mehr, als man sieht. Aber, ich war ungeduldig und wollte diesen
W 111 mit diesem einwandfreien Chrom haben. Wir haben uns auf einen Preis geeinigt und die Flosse war mein.
Soweit zur Vorgeschichte. Jetzt sollte die Karosserie bearbeitet werden. Man kann sich vorstellen, hier waren umfangreiche Karosseriearbeiten nötig. Hinter der „kleinen Roststelle“ verbarg sich an den beiden hinteren Kotflügeln das blühende Chaos. Teilweise vier Reparaturbleche übereinander und die Kotflügel vielfach schlecht geschweißt und das Blech löchrig und die Schweller mussten erneuert werden. So haben wir die Flosse auf der Bühne so weit auseinandergenommen, hätten wir sie wieder auf die Räder gestellt, sie wäre nie wieder eine gute Flosse geworden, so weich war sie.
Nun hatte ich aber einen guten Karosseriefachmann für den Oldtimer. Wir vereinbarten: Er repariert, ich besorge die Ersatzteile. Dazu brauchte ich ein Ersatzteilbuch, das ich wiederum in eBay fand. Die genaue Bezeichnung von Mercedes Benz lautet: Fahrgestell- und Aufbau-Ersatzteilliste.
Wie auf Bild 1 zu sehen ist, war das dreisprachige Buch, DIN-A4-Querformat, bereits in die Einzelseiten zerlegt. Der Vorbesitzer aus Amerika hat dann kurzerhand das Ersatzteilbuch oben am Kopf zweifach gelocht und in einen Ordner abgeheftet. Wenn man sich das Umblättern in diesem Ordner vorstellt, sieht man nach dem Umblättern die Rückseite auf dem Kopf stehen. Das macht auf Dauer beim Suchen keinen Spaß. Da hat mich als ehemaliger Druckereibesitzer der Ehrgeiz gepackt und da ich guten Kontakt zu Handbuchbindereien hatte, fand ich den Buchbinder, der daraus wieder ein Buch mit Hardcover macht. Zuerst haben wir gemeinsam die einzelnen Restaurierungsschritte besprochen. Ergebnis sollte ein Buch werden, dass praktisch zu handhaben und stabil sein muss, da es häufig genutzt werden soll. Auch sollte es schön im Bücherregal aussehen. Fangen wir mit der Erklärung zur Umsetzung an.
Hier galt es zunächst die gesamten Seiten wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen, genau zu kontrollieren und zu einem Buchblock zusammenzufügen. Dieser Buchblock wird jetzt in Abständen von ca. einem Zentimeter mit einem 3-mm-Bohrer komplett durchgebohrt. Dazu benötigt der Buchbinder einen speziellen Lochbohrer, der das ausgebohrte Papier aus dem Bohrer absaugt und damit den Bohrer immer wieder freihält. Das fertige Ergebnis seht ihr auf Bild 3.
Jetzt haben wir einen Buchblock mit perfekten Lochungen. Dann der nächste Schritt. Hier muss ich leider etwas ausholen.
Auf Bild 6 seht ihr, dass der Buchblock mit einem Faden fest vernäht und verknotet wird. Damit ist das Buch mit seinen 380 Innenseiten fest verbunden und wird sich unter normalen Bedingungen nicht mehr lösen. Das Problem ist jetzt, da der Buchblock fest zusammengebunden und starr ist, dass er sich fast nicht oder zumindest schwer umblättern lässt. Zur Abhilfe haben wir uns einer Rillmaschine bedient.
Hier werden die Innenseiten 3-fach gerillt. Dadurch wird das Aufschlagverhalten des Papiers erleichtert oder vorgegeben
Dreifach gerillt deshalb, weil dadurch der Knickbogen des Papiers einen größeren Bogen erfährt und das Umblättern zu einer Leichtigkeit wird.
Auf Bild 7 seht ihr jetzt den fertigen und gebrauchsfähigen Buchblock. Hier könnten wir fertig sein und wir hätten ein Softcoverbuch. Wenn da nicht die Eitelkeit des Druckers und Buchbinders wären. Also haben wir den linken Buchrücken mit einem bordeauxfarbenen sogenannten Fälzelband versehen.
Nun wirkt das Ersatzteilbuch schon gut und wir könnten das Buch nutzen oder ins Regal stellen. Wir haben uns dennoch dafür entschieden, einen Hardcover-Umschlag zu erstellen. Dieser besteht aus 2,5-mm-Buchbinderpappe. (Umschlagdeckel (a), Buchrückenhöhe (b), Flexoteil (c) und Umschlagrücken (d)).
Diese graue Buchbinderpappe wird auf einem bordeauxfarbenen Textilleinen verleimt und komplett bezogen. Das ist das eigentliche Hardcover.
In diesen Umschlag wird jetzt unser Buchblock verleimt bzw. verklebt. Dabei ist (b) die Buchblockhöhe und (c) der Flexoteil, damit beim Aufschlagen der Innenseiten das Hardcover flexibel bleibt. Jetzt ist das Buch „Fahrgestell- und Aufbau-Ersatzteilliste“ fertig und für eine lange Zukunft benutzbar.
Lasst uns an dieser Stelle über den Arbeitsaufwand reden. Da gibt es, wie oben beschrieben, diese zwei Möglichkeiten, also Softcover oder Hardcover. Für das Softcover wird der Buchbinder sicherlich 2–3 Stunden veranschlagen und für das perfekte Hardcover 4–5 Stunden.