Das legendäre Flügeltürencoupé war der erste reinrassige Sportwagen, der nach dem Krieg bei Daimler-Benz entwickelt wurde. Initiiert wurde diese Entwicklung von Max Hoffman, einem US-Amerikaner österreichischer Abstammung, der seit September 1952 als offizieller Importeur von Mercedes-Benz Fahrzeugen fungierte. Der Vorstand sah Hoffmans Wunsch, Sportwagen mit dem Mercedes-Stern zu verkaufen, als willkommene Möglichkeit, den US-Markt für Daimler-Benz zu erschließen, und ließ sich überzeugen: Im September 1953 fiel der Startschuß für die Entwicklung zweier Sportwagen-Typen.
Die Serienversion des 300 SL, die als ein Ergebnis dieser Entwicklung im Februar 1954 auf der „International Motor Sports Show“ in New York präsentiert wurde, basierte auf dem Rennsportwagen der Saison 1952. Von diesem stammte das auffälligste Merkmal, die berühmten Flügeltüren, die dem Wagen im angelsächsischen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Gullwing“ einbrachten. Diese ungewöhnliche Lösung war nicht als publicity-trächtiger Design-Gag konzipiert, sondern hatte – wie bereits im Rennsportwagen – zwingende, konstruktiv bedingte Ursachen: Der aus dem Rennsport-SL übernommene Gitterrohr-Rahmen, der bei extremer Belastbarkeit nur 50 kg auf die Waage brachte, hatte den Nachteil, dass seine Bauhöhe keine konventionellen Türen ermöglichte.
Unter der stromlinienförmigen Karosserie verbargen sich weitere Neuerungen: So kam die Benzineinspritzung erstmals bei einem Mercedes-Benz Serienfahrzeug zum Einsatz; sie ermöglichte eine Leistungssteigerung von 40 PS gegenüber der vergaserbestückten Rennsport-Ausführung. Der Motor war zur Seite geneigt eingebaut, so dass ein besonders flacher und strömungsgünstiger Vorbau realisiert werden konnte. Die konsequente Leichtbauweise – das Gewicht des fahrfertigen Wagens mit Reserverad, Werkzeug und Brennstoff betrug 1295 kg – verhalf dem 300 SL auch zu seinen aufsehenerregenden Fahrleistungen: Je nach Hinterachsübersetzung war eine Höchstgeschwindigkeit zwischen 235 km/h und 260 km/h erzielbar. Das Fahrwerk entsprach im wesentlichen demjenigen der 300er Limousine, verzichtete aber auf die dort vorhandene Zusatzfederung und war sportlicher abgestimmt.
Von August 1954 bis Mai 1957 entstanden in Sindelfingen 1.400 Exemplare, davon 29 mit Leichtmetall-Aufbau und ein Versuchsfahrzeug mit Kunststoff-Karosserie. Das Einzelstück mit GFK-Karosserie ist an zwei Besonderheiten eindeutig zu identifizieren: Es verfügt über zusätzliche, auf den Vorderkotflügeln angeordnete Blinkleuchten, wie sie vom Typ 220 a bekannt sind, und hat Türen mit größeren Spaltmaßen, die nicht ganz bündig schließen.
Auf dem Genfer Automobil-Salon im März 1957 wurde als Nachfolger des Flügeltürers ein Roadster vorgestellt, der wie sein Vorgänger auf die Initiative von Max Hoffman zurückging. Dieser hatte schon seit geraumer Zeit auf eine offene Version des 300 SL gedrängt, für die er auf dem US-Markt gute Absatzchancen sah. Technisch entsprach der Roadster im großen und ganzen dem Coupé; durch Modifikation der Seitenteile des Gitterrohr-Rahmens konnte die Einstiegshöhe so weit reduziert werden, dass sich normale Türen realisieren ließen. Grundlegend verbessert wurde die Hinterrad-Aufhängung: Die bereits vom Typ 220 a bekannte Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt wurde in angepaßter Form nun auch beim 300 SL Roadster eingebaut und war erstmals mit einer Ausgleichfeder versehen. Gegenüber der ursprünglichen Pendelachse des Flügeltüren-Coupés waren deutlich verbesserte Fahreigenschaften zu verzeichnen.
Ab Oktober 1958 gab es als Sonderausstattung ein abnehmbares Coupédach, das zum Preis von 1.500,- DM erhältlich war und auf Wunsch auch nachträglich montiert werden konnte. Bemerkenswert waren das weit herumgezogene Heckfenster und die stilistisch gelungene Gestaltung des Hardtops. Von den technischen Änderungen, die im Laufe von sechs Jahren in die Produktion einflossen, sind zwei besonders erwähnenswert: Im März 1961 erhielt der 300 SL Dunlop-Scheibenbremsen an Vorder- und Hinterrädern, und ab März 1962 wurde ein modifizierter Motor mit Leichtmetall-Block eingebaut.
Eine Sonderausführung des 300 SL Roadster soll nicht unerwähnt bleiben: der zur Teilnahme an der amerikanischen Sportwagenmeisterschaft in zwei Exemplaren gebaute 300 SLS. Hintergrund dieser Sonderanfertigung war die Tatsache, dass nach erfolgtem Produktionsanlauf des Roadsters publicity-wirksame Renneinsätze in den USA zur Verkaufsförderung vorgesehen waren. Der Verwendung der regulären Serienversion stand die Ablehnung des „Sports Car Club of America“ entgegen, den neuen Typ schon für die Saison 1957 in der „Standard Production“-Kategorie zuzulassen. Um in der einzigen alternativ möglichen Rennsport-Kategorie D nicht chancenlos zu sein, wurde der serienmäßige Roadster nach allen Regeln der Kunst zum SLS abgespeckt. Äußerlich ist der 300 SLS an den fehlenden Stoßstangen, einer speziell geformten Cockpitabdeckung mit Lufteinlaßschlitz, der schmalen Renn-Windschutzscheibe und dem Überrollbügel hinter dem Fahrersitz zu erkennen. Immerhin waren die in der Daimler-Benz Versuchsabteilung durchgeführten Arbeiten erfolgreich: Paul O’Shea gewann die amerikanische Sportwagenmeisterschaft in der Kategorie D mit deutlichem Vorsprung vor der Konkurrenz.
Die Produktion des 300 SL – und zeitgleich die des 190 SL – lief am 8. Februar 1963 in Sindelfingen aus. Dieses Datum markierte bei Daimler-Benz das Ende einer Epoche: Nachdem im März 1962 bereits die Produktion des Typ 300 eingestellt worden war, verschwand nun mit dem 300 SL auch das letzte Pkw-Modell mit separatem Rahmen aus dem Produktionsprogramm.
Beide Versionen des 300 SL, Roadster wie Flügeltüren-Coupé, waren von Anfang an ausgesprochene Liebhaberfahrzeuge und haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren; sie gehören seit Jahren zu den gesuchtesten und bestnotierten Klassikern.